Die Vergangenheit ist ein ungültiger Scheck, und die Zukunft liegt nicht in Ihrer Hand.
- sylviahatzl 
- 5 ago 2022
- 5 Min. de lectura
Daher sollten Sie im gegenwärtigen Moment leben. – Amma

Die Bayern sind in Deutschland das, was die Schotten in Großbritannien sind; die Katalanen in Spanien, die Sizilianer in Italien… (sehr!) eigen in Kultur und Dialekt (Sprache), erzkatholisch, traditionsbewußt, im Falle der Bayern und Sizilianer chauvinistisch und machoistisch, und im Falle der Bayern und Katalanen die Geldmaschine der Republik. Bayern steht kulturell und sprachlich seit alters her Österreich nahe, wir sprechen verschiedene Variationen ein- und desselben Dialekts. Die bayrische Prinzessin Elisabeth war die letzte Kaiserin von Österreich, verewigt in Filmen mit Romy Schneider. In Bayern gab es in den 70er und 80er Jahren einen Politiker, Franz-Josef Strauß, der nicht nur in ganz Deutschland, sondern sogar bis in die USA bekannt war. Er stürzte über eine Korruptionsaffäre, und seitdem sprechen wir in Bayern auch von “Amigos”, wie in Mexiko… (wobei man in Mexiko bei solchen Beziehungen von Compadre spricht, aber wie dem auch sei).
Die Deutschen anderer Regionen, besonders Köln, Hamburg und Berlin, mögen uns traditionell nicht und schrecken nie davor zurück, sich über Bayern und seine Menschen lustig zu machen, ich habe das immer wieder selbst erlebt. Das ist manchmal einfach nur eine im Grunde freundliche Trietzerei, aber allzu oft ganz und gar nicht so klar, wie das nun gemeint ist… Zumindest ich verstehe das oft überhaupt nicht, ich verstehe allerdings sehr wohl, wenn sich andere für etwas Besseres halten, und das tun “die Nordlichter” praktisch immer.
Die Gründe hierfür sind vielfältig und historisch bedingt, unter anderem, weil Bayern ein Kerngebiet der alten keltischen Kulturen Europas ist und sich bis heute als Nachkommen des keltischen Stammes der Boii und der späteren Bajuwaren (ein eigentlich neues Stammesvolk, das sich aus einer Mischung anderer damals in der Gegend lebender Stämme wie Nachkommen römischer Siedler, Hunnen und germanischer Stämme gebildet hat, die dem Land und der Sprache ihren Namen gaben) versteht, und auch von anderen so gesehen wird.
Ein wirklicher Hauptgrund ist aber viel jüngeren Datums, nämlich, weil Bayern ein Verbündeter von Napoleon III. war, als er gegen die Preußen (deren Hauptstadt Berlin ist) Krieg geführt hat. Im 19. und 20. Jahrhundert galt Bayern außerdem als das Land ungebildeter und hinter der Moderne zurückgebliebener Bauern. Noch heute drohen Berliner Mütter ihren ungehorsamen Kindern: “Wenn du deine Suppe nicht ißt, schicke ich dich nach Bayern!” Wie mir eine Berliner Freundin einmal augenzwinkernd erzählt hatte. Dies stammt aber aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, als tatsächlich aus der ganzen Nation die Kinder nach Bayern geschickt wurden: München (mit Augsburg) und Regensburg waren (und sind) ja die einzigen Großstädte, die strategisch und politisch ein Gewicht hatten (und haben). Der Rest des Landes ist Bauernland und war damit sicher vor Luftangriffen. Außerdem gab es bei Bauern immer irgendetwas zu essen, selbst wenn nur Brot und Suppe. Also wurden die sogenannten “Kinderlandverschickungen” begonnen, vor allem aus Pommern und Ostpreußen, wo die Sowietarmee wütete. Die Geschichtsbücher und persönlichen Tagebücher Deutschlands sind voll von diesen Geschichten der Vertreibung ganzer Dörfer.
Nach dem Krieg entwickelte sich Bayern zum wirtschaftlichen Motor der Republik, die bayerischen Motorenwerke (BMW!) und ihre Zulieferer “eroberten” ganze Landstriche und modernisierten sie. Wer sein Land verkaufte, wurde über Nacht zum Millionär (so auch ein Vetter meiner Mutter) und halb Niederbayern wurde rekrutiert, um in den Fabriken und und Büros und Geschäften der AG zu arbeiten.
Bis heute sind wir Bayern sehr traditionsbewußt und verbunden mit unserer Heimat, vor allem, je ländlicher und weiter in den Bergen. Aber die Bayern reisen auch gerne, und viele sind auch ausgewandert, vor allem natürlich in die USA. Ich habe einmal nach meinem Nachnamen recherchiert, und gleich nach Tirol (sowohl das heute österreichische Tirol, als auch das heute italienische Südtirol, da kommt der Name ursprünglich her, die ältesten und meisten Nennungen und Aufzeichnungen des Namens finden sich dort), Wien und eben Bayern waren die meisten Vertreter in den USA zu finden, und in jüngerer Zeit auch in Australien.
Natürlich sind auch viele Bayern nach Lateinamerika ausgewandert, und gerade Mexiko war lange sehr beliebt, gemeinsam mit Argentinien und anderen südamerikanischen Ländern. Mexiko hatte und hat eine nicht kleine deutsche Gemeinde, und vor kurzem habe ich etwas sehr interessantes verstanden: in Deutschland sprechen wir bis heute von “Montezumas Rache”, wenn jemand durch zu scharfes Essen starken Durchfall erleidet. Aber warum?
Nun, 1910 gab es einen Unglücksfall, der damals auch durch sämtliche mexikanische Zeitungen ging: einige deutsche Familien in Toluca hatten bei einem Picknick eine Bleivergiftung erlitten. Die meisten wurden krank – mit Erbrechen und Durchfall. Einige Personen starben aber sogar. Dies haben natürlich auch die in Deutschland verbliebenen Verwandten erfahren, und irgendwer kam wohl auf diese Wortschöpfung!
https://www.mexicodesconocido.com.mx/el-picnic-macabro-de-1910-evento-que-termino-mal-para-34-alemanes-en-mexico.html
Natürlich reisen die Bayern heute noch genauso gerne, und viele wandern auch aus, sowohl innerhalb der Republik, als auch über ganz Europa und die Welt verteilt.
Aber ich muß schon sagen, daß ausgerechnet bayrische Volksfestmusik um die Welt reisen und bei den Ureinwohnern Zentralmexikos, also Oaxacas, so beliebt werden würde, daß sie sie sich ganz zu eigen machen – das bringt mich gehörig aus dem Häuschen! Natürlich macht es mich auch stolz – den kulturellen Stolz, das Traditionsbewußtsein, diesen gewissen Trotz gegenüber den “arroganten Nordlichtern, die sich für was Besseres halten”… das kann ich ja sehr gut nachvollziehen!! Und es begeistert mich, zu sehen, wie die Leute “unsere” Musik adapiert und auch verändert und bereichert haben, wie sie dazu tanzen und feiern!
Natürlich ist “unsere” Musik historisch betrachtet nicht “unsere” Musik. Sie kommt aus Böhmen und Ungarn und hat bei uns (soll heißen, in Österreich und Bayern) schon unzählige Adaptionen und Anpassungen erlebt. So richtig berühmt und populär gemacht in Walzern und Polkas haben sie wohl Vater und Sohn Johann Strauß, und nach Mexiko gebracht hat sie vermutlich Maximilian von Habsburg, den oben erwähnter Napoleon III. als Kaiser von Mexiko ins Land gelockt hatte. Die Geschichte von Maximilian von Habsburg und seiner nur dreijährigen Regentschaft in Mexiko ist höchst interessant. Nicht nur in meinen Augen war er seiner Zeit weit voraus: er entwarf seitenweise Projekte für die Ureinwohner Mexikos, um sie durch Schulen und Bildungsprogramme aus der Armut zu holen, und nicht nur die Ureinwohner. Er war von den alten Kulturen Mexikos begeistert und lernte Nahuatl.
Aber als europäischer Prinz des Hochadels und “Kaiser von Mexiko” repräsentierte er natürlich alles, wogegen die Revolution seit Jahren erbittert Krieg führte. Benito Juarez ließ ihn durch Erschießen hinrichten, und Maximilian soll ihm in seinen letzten Momenten zugerufen haben: “Ich hätte deinem Volk dienen wollen!”
Romantisches Märchen, das uns Bayern und Österreichern ans Herz rührt? Oder Wahrheit? Ich weiß es nicht.
Was ich aber weiß, ist, daß Walzer und Polka und die Musik der Militärkapellen (!!) in den Händen und Beinen der Mixteken, Zapoteken, Mixe, Triquis, Chatinos, Chinanteken, Mazateken, Nahua, Chocholteken und vieler mehr ein wunderschönes und begeisterndes Revival erleben und alle mit Gesang und Tanz von den Stühlen holen.
So, wie sich das gehört.
Das erste, was die spanischen Mönche verboten haben, waren die Tänze, vor allem die Tänze der Frauen. Dieser abschließende Tanz der Frauen ist das Highlight des Festivals.



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