Intention ist eine der stärksten Kräfte, die es gibt.
- sylviahatzl
- 7 feb 2023
- 6 Min. de lectura
Was Sie meinen, wenn Sie etwas tun, wird immer das Ergebnis bestimmen. Das Gesetz erschafft die Welt. – Brenna Yovanoff

Vor kurzem habe ich jemanden sagen hören: “Wenn du dauernd Angst davor hast, daß andere dich verurteilen, dann ist das, weil du dauernd andere verurteilst.”
Das klingt auf den ersten Blick sehr klug und schlau und vor allem auch “spirituell” – ist aber tatsächlich falsch, beziehungsweise zu kurz gedacht.
In der Psychologie weiß man nun schon seit längerem, daß, wer mit anderen scharf ins Gericht geht, am härtesten über sich selbst urteilt. Wenn ich nicht selbst eine eigene Handlung oder Eigenart ablehne und/oder verurteile, nehme ich selbiges von anderen gar nicht erst wahr.
Mit ein bißchen Aufmerksamkeit und Geduld kann man diesen Prozeß an sich selbst beobachten, auch wenn er oft durchaus sehr subtil ist. Als allererstes kommt etwas wie: “Ach, ich schau grad nochmal fünf Minuten ins Instagram…” Wenn aus den fünf Minuten dann 50 Minuten geworden sind, folgt: “Mei, ich Depp, jetzt habe ich eine Stunde Schlaf verloren und mit diesem ganzen Mist meine Zeit verschwendet, und was die Leute für einen Blödsinn da reinstellen…”
Und dann sagt mein Partner vielleicht am nächsten Morgen mit oder ohne Augenzwinkern: “Warst wieder lang im Instagram. Wolltest du das nicht aufgeben?”
Und schon fühlen wir uns ertappt und angegriffen – und verurteilt. Vielleicht können wir da nun lachen, weil wir uns dieser Dynamiken sehr bewußt sind; viele Menschen werden aber eher zornig reagieren und sich wegen des wahrgenommenen Angriffs und der Verurteilung wehren und rechtfertigen.
Für uns Autisten ist die ganze Thematik besonders schwierig, weil wir ja oft tasächlich ein (halbes) Leben lang immer wieder kritisiert und für Dinge verurteilt wurden, die in unserer autistischen Natur liegen. Wenn wir dann erwachesen sind, kommt die Dynamik der Selbstverurteilung natürlich auch zum Tragen, oft auch doppelt und dreifach verstärkt. Und wir investieren umso mehr Energie ins Maskieren und Schauspielern, in der Hoffnung, daß wir doch akzeptiert und eben nicht mehr verurteilt werden.
Verurteilen wir die anderen in dem selben Maße, wie wir uns selbst verurteilen und von unseren Mitmenschen, beruflich und privat, verurteilt fühlen?
Durchaus. “Wie kann man nur so sein?!” “Wie kann man nur so etwas tun?!” Das sind Gedanken, dir mir nur zu vertraut sind.
Dieses Nicht-Verstehen-Können, und Nicht-Akzeptieren-Können, daß andere Menschen ganz grundlegend anders ticken und daher auch die Dinge anders sehen und wiederum daher auch anders handeln können.
Dies ist aber auch wieder auf Selbstverurteilung und Selbstakzeptanz zurückzuführen. Je mehr ich mich selbst akzeptiere, desto weniger werde ich mich selbst verurteilen – und das ganze Knäuel löst sich langsam auf.
Manche Denk- und Sichtweisen lösen jedoch immer noch ein Kopfschütteln in mir aus. Manches Handeln ebenso, und hier nun tut sich eine andere Tür auf.
Geisteshaltung und Verantwortungsbewußtsein. Das folgende Meme habe ich heute gelesen, auf Deutsch geht es etwa so:
Wenn ich jemandem von meinen Angstproblemen erzähle und er mir antwortet: “Du mußt dich nur entspannen und guten Mutes sein!”

Genauso ist das ganze “spirituelle” Gerede von “Du selbst erschaffst deine Realität” und “Du selbst verurteilst die anderen” usw.
Das ist zwar alles durchaus korrekt und zutreffend.
Jedoch werden dabei zwei Aspekte vollkommen und zum eigenen Vorteil der so redenden Person ignoriert: Verantwortung und Mitgefühl.
Verantwortung haben wir nicht nur im beruflichen Kontext als Busfahrer, Manager, Piloten, Lehrer, Ärzte und Therapeuten undsoweiter.
Verantwortung haben wir auch im privaten Sinne, und nicht nur gegenüber Kindern und alten Eltern. Auch Freunden und Partnern gegenüber.
Und auch als Passagier, Gast oder Kunde haben wir etwa dem Taxifahrer oder Kellner oder Kassierer im Supermarkt gegenüber eine Verantwortung. Und auch als Patient auch dem Arzt oder Physiotherapeuten gegenüber: dies ist letztlich in diesem Kontext die Verantwortung mir selbst gegenüber, aber eben durchaus auch der Fachkraft, die mir ihre Zeit und ihr Wissen und ihre Energie gibt. Ich glaube, das ist, was man früher “gute Manieren” genannt hat. Die sind heute nicht mehr modern, und das ist eine Facette des großen Bildes der kaputten Gesellschaft.
Und Mitgefühl… Mitgefühl ist eine Lebenseinstellung, eine charakterliche Grundhaltung (die man lernen und entwickeln kann!).
Bevor Sie sich daher fragen, inwiefern Sie “selbst schuld” sind, wenn und daß andere Sie verurteilen, weil Sie ja auch die anderen hart verurteilen…
Wie sprechen Sie mit sich selbst? Welchen Ton hat Ihre innere Stimme? Von wem ist Ihre innere Stimme? Ist es Ihre eigene? Wann sind Sie zum ersten Mal für diese Sache verurteilt worden, von der Sie fürchten, daß andere das immer noch und ständig tun? Und von wem?
Und wenn Sie an einem Sonntagnachmittag im Park sehen, wie etwa ein Vater sein Kind anschreit und fast die Hand erhebt… dann dürfen und sollen Sie sich sehr wohl fragen, inwiefern Sie hier “Ihre eigene Realität” erschaffen. Manchmal benimmt sich eine Person ganz objektiv wie ein Arschloch. Manche Handlungen und Verhaltensweisen sind schlicht und ergreifend nicht in Ordnung, und wenn ich noch so reizgeflutet und/oder getriggert bin. Genervt von einer Computerarbeit aufschreien, oder aufstehen und dem Hund einen Tritt geben, sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Das eine ist einfach unschön, das andere ist inakzeptabel.
Lassen Sie sich kein X für ein U vormachen, auch wenn die Person, die so spricht, noch so “erfahren” und/oder “spirituell” wirken mag. Sie haben es hier mit Verantwortungslosigkeit zu tun. Diese Verantwortungslosigkeit ist ein Hauptmerkmal dieses Zeitalters des Konsums und Wegwerfens, in dem ein kaputter Gegenstand nicht repariert, sondern weggeworfen und umgehend ersetzt wird, und in der auch “Spiritualität” ein Konsumgut geworden ist. Und diese Verantwortungslosigkeit mündet in die Art Verrat, die wir heutzutage allenorts sehen und erleben: zwei Personen gehen eine zeitlang regelmäßig miteinander aus, vielleicht sogar miteinander ins Bett – und eines Tages verschwindet der/die eine wortlos und meldet sich nicht mehr. Auch im beruflichen Kontext: man macht mit jemandem einen Zoom-Termin aus – und dann meldet die Person sich nicht. Auf Nachfrage kommt auch keine Antwort. Es gibt einen Konflikt oder sonstwie ein Problem, und anstatt es gemeinsam anzusprechen und sich darüber auszutauschen und Klärung zu finden, also, zu reparieren, bricht man einfach den Kontakt ab und flüchtet.
Diese Dinge sind die eigentlichen Übel der modernen Gesellschaft, denn dies alles hat damit zu tun, wie wir charakterlich aufgestellt sind, unser Leben zu leben, unser Leben in die Hand zu nehmen. Verantwortung geht, genau wie Verurteilung, in beide Richtungen: gegenüber anderen und gegenüber sich selbst. Wenn man vor einer Situation oder Person wegrennt, rennt man vor sich selbst weg. Das geht durchaus, sogar ein ganzes Leben lang. Aber es hat seinen Preis, immer. Wenn wir die Verantwortung für uns, unser Fühlen, Denken und Handeln und damit unser Leben nicht übernehmen, geben wir sie effektiv ab, an das Schicksal, an Gott, an die Regierung, ob wir das begreifen oder nicht. Jeder Verrat an einer anderen Person, an einer Situation, einer Problematik und/oder Fragestellung ist immer ein Verrat an uns selbst.
Dies sind die Eckpfeiler der Gesellschaft, in der wir leben, gerne auch “das System” oder “das Patriarchat” genannt. Wie auch immer wir es nennen mögen, es geht um den Glauben, keine Verantwortung zu haben, und damit geht einher der Glaube, keinen Einfluß und schon gar keine Macht zu haben. Beides sind die zwei Seiten ein und derselben Münze. Wir werden dazu erzogen, an die Illusion zu glauben, daß Macht bedeutet, Macht über andere zu haben.
Tatsächlich aber geht es nur um Macht über sich selbst, und damit sein Leben. Und diese Macht kommt Hand in Hand mit Verantwortung. In dem Moment, in dem ein Mensch Verantwortung übernimmt, für sich selbst, ja, alles inklusive, in dem Moment haben wir auch Macht, die Macht über uns selbst und unser Leben, und das ist die einzige Macht, die wirklich existiert, und auch die einzige Macht, die wirklich erforderlich ist. Alles andere, alle andere Macht, ist nur ein Ersatz und wird nur angestrebt, um diese innere Leere zu kompensieren, die eben daher kommt, daß wir glauben, keine Macht zu haben. Das lernen wir ja schon im Kindergarten. Und wenn wir dann etwas größer sind und anderen Kindern Angst machen, glauben wir, daß dies Macht ist, und streben nach immer mehr davon.
Dieses Konzept, dieses Glaubenssystem, das natürlich lange vor dem modernen Konsumismus-Kapitalismus und auch in vielen verschiedenen Regionen der Erde sich manifestiert und entwickelt hat (eine Bekannte hat einmal die Überlegung angestellt, ob “das Patriarchat” nicht eine Trauma-Reaktion sein könnte… darüber müssen wir hier ein ander Mal nachdenken), ist wie der Hirtenhund gegenüber der Schafherde. Ein einziger Hirtenhund kann Hunderte von Schafen steuern und kontrollieren. Und wie es hinter dem Hirtenhund einen Menschen gibt, der alles überschaut und überblickt, der in den natürlichen Lauf der Dinge eingreift, ihn steuert und manipuliert, so gibt es in diesem Denksystem die Figur eines allmächtigen Gottes, und der ist selbstverständlich männlich, denn er “beherrscht” alles Göttinnenhafte, alles Naturhafte und alle Natur.
Womit wir wieder beim größten Denkfehler der Menschheitsgeschichte angelangt wären: dem Glauben, getrennt zu sein und “den Mächten” ausgeliefert zu sein…
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