Wo es große Liebe gibt, gibt es immer Wunder. – Willa Cather
- sylviahatzl
- 14 jun 2022
- 4 Min. de lectura

Über einen Monat war ich nun noch einmal in Indien, vier Wochen davon im Ashram, und es waren lange und auch wirklich harte Wochen. Alles, was ich in den letzten beiden Jahren so klar und deutlich über mich verstanden habe, hat meinen Aufenthalt hier zu einer körperlichen Qual gemacht, von allergischen Reaktionen der Haut und Atemwege auf die feuchte und extrem unreine Luft (das Klima an sich, und dazu die auch für Einheimische aus anderen Regionen Keralas durchaus herausfordernde spezielle Lage des Ashrams), bis hin zu einer sensorialen Überlastung rund um die Uhr. Jeden Tag.
Zum einen ist man wirklich ständig von Menschen umgeben. Auch, wenn man die Tür zu seinem Zimmer zu macht, ein paar Türen weiter ist ein Nachbar… unten gehen immer Leute vorbei…
Das Leben findet natürlich in Gemeinschaft statt. Die Mahlzeiten und anderen Aktivitäten sind auf die Gemeinschaft ausgelegt, und das ist für mich wirklich sehr anstrengend, denn dieses Ding mit den “sozialen Codes” und Regeln und so… Ich kann es schon, ein Stück weit, und eine Zeit lang. Ich kann schon “mitspielen”. Einigermaßen. Denn es kostet mich jedesmal wieder und aufs Neue SO viel Energie und Kraft, wieder etwas einzuordnen… “Wie meint der das jetzt?” “Ist das jetzt einfach nur neurotypisch freundlich und nichts dahinter? Oder bedeutet diese etwas tiefere kleine Konversation, daß ein richtig Eintauchen möglich und erlaubt ist?” Letzteres hat sich im Ashram oft als besonders herausfordernd erwiesen, weil ich natürlich davon ausgegangen bin, daß hier jetzt ALLE an tiefen spirituellen und philosophischen Gesprächen interessiert sind, und sich auch genauso total darauf einlassen, wie ich!
Wie ich mich da geirrt habe!!…
Viele der “mentalen Spickzettel”, die ich mir mein Leben lang völlig unbewußt zurecht gelegt hatte, funktionierten nicht mehr so einfach, außer mit den japanischen Ashramites, und auch den meisten Amerikanern. Aber viele Menschen, die für mehr als nur einen kurzen Besuch in einem Ashram aufschlagen, wenn nicht die meisten, bringen Themen und Dinge mit… leider muß man auch sagen, daß es viele Westler gibt, die meinen, außerhalb ihres eigenen Landes gelten keine “guten Sitten” mehr, und damit beziehe ich mich jetzt auf so schlichte Dinge wie Kleidung und Umgangsformen…
Kurz, es war all die Jahre lang vor allem sozial herausfordernd. Die körperliche Herausforderungen habe ich ignoriert. Ich habe stets versucht, mich soweit wie möglich zurückzuziehen, aber das geht nicht immer. Das war auch diesmal wieder so. Wenn man Amma sehen will und ihre Umarmung will, muß man in vieler Hinsicht die Zähne zusammenbeißen und sich sagen: ‘Augen zu und durch!’
Zu all dem kommt der typisch indische Lärm, von Straßenlärm und praktisch ständigem Gehupe bis zu Menschen, die aus irgendeinem Grund auch dauernd schreien… In keinem anderen Land der Welt habe ich es erlebt, daß derart dauernd gehupt wird und die Leute irgendwie immer herumschreien. Wenn ein Lastwagen in eine Einfahrt eingewiesen wird, stehen drei bis fünf Männer drum herum und schreien. Wenn eine Frau von einer Nachbarin was braucht, schreit sie. Wenn von links einer kommt und von rechts einen sieht, der vielleicht länger weg war, wird schon auf fünf Meter Entfernung fröhlich geschrien. Auch Amma macht das, manchmal packt sie das Mikrofon und schreit hinein, und alle zucken zusammen und lachen dann. Ich bin ja nun auch wirklich niemand, der ein zartes Stimmchen hat, und ich kann schon auch laut werden (und das wird dann als negativ verzeichnet! Hier wie sonst überall auch!), aber der generelle Umgangston hier ist ein hektisches Geschrei.
Hektik ist überhaupt ein Hauptmerkmal der Inder, überall. Das macht mich schier wahnsinnig, natürlich, ich bin ja selber auch eher ein nervöser Typ…!
Was ich zum Abschied mitnehme, ist dieses: Liebe alle, vertraue wenigen, verlasse dich auf niemanden.
Und bevor wir einem anderen solche großen Dinge wie: “Ich liebe dich!” sagen, müssen wir sehr sorgfältig überlegen, was wir hier aussprechen. Was meine ich damit, wenn ich das sage? Zu wem kann ich das sagen, wann und auch unter welchen Umständen? Ich habe gelernt, daß es Menschen gibt, die einen mit dem Blick fixieren und einem ein inbrünstiges: “Ich liebe dich!” an den Kopf werfen – das sich aber mehr wie eine geladene Pistole auf der Brust anfühlt. Hier geht es nur um eines: um Manipulation, und wenn man selbst nicht wirklich so genau weiß, was Liebe ist, dann kann sich Manipulation nur allzu oft wie Liebe anfühlen.
Und oft sind beide Personen in diesem Spiel Opfer, denn der Manipulierende kennt es oft auch nicht anders, weiß es oft auch nicht besser. Es kann sich aber auch um einen geschickten Narzissisten handeln… oft ist man erst nachher schlauer. Und das gilt bei weitem nicht nur für Paarbeziehungen!
Ich habe gelernt, daß es unzählige Möglichkeiten gibt, “Ich liebe dich!” zu sagen, gerade auch mit anderen Worten. Ich habe gelernt, dass "Ich liebe dich!" nur allzu oft nicht das ist, was wir denken, dass es sein muss oder sollte, aber dennoch nicht weniger wert ist.
Ich habe gelernt, daß dieses Ding mit dem Vertrauen wirklich etwas ist, worüber es sich lohnt, nachzudenken, ohne dabei gleich alle Menschen unter einen Generalverdacht zu stellen, sondern einfach nur… weil wir alle verschieden sind! Verschiedene Leben leben, verschiedene Werte haben… Vertrauen muß man Zeit geben, zu wachsen und sich zu beweisen.
Ich habe gelernt, daß mir von vielen Seiten auf vielfältige Weise viel Liebe zuteil wird – und daß ich das annehmen darf und jetzt auch kann.
Es ist schön.
Aum Amriteshvariye namaha.
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